INNENEINRICHTUNG EINER ARZTPRAXIS: GESTALTUNG ALS THERAPIE
SEP 29, 2013 ARZTPRAXIS, INNENEINRICHTUNG, PRAXISEINRICHTUNG, ZAHNARZTPRAXIS, PRAXISEINRICHTUNGEN
Schricker, Rudolf
Deutsches Ärzteblatt 2000; 97(40): [8]
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Für die individuelle Realisierung einer Praxiseinrichtungen, die medizinischen und gestalterischen Belangen Rechnung trägt, kommt auch die professionelle Unterstützung durch einen Innenarchitekten in Betracht.
Grundsätzlich basieren alle Überlegungen zur Gestaltung einer Arztpraxis auf ökonomischen, funktionalen und technischen Einflussfaktoren; ebenso sind humanwissenschaftliche Kenntnisse und künstlerisch-ästhetische Belange zu berücksichtigen. Darüber hinaus müssen diesen Planungsgrundsätzen die praxisspezifischen Organisationsformen und deren Optimierung zugrunde liegen.
Es ist ein Vorurteil, dass individuelle Lösungen durch einen Architekten oder Innenarchitekten von vornherein teuerer sind als vergleichbare Konzepte herkömmlicher Praxiseinrichter; in der Regel lassen sich dabei Kosten reduzieren und Folgekosten minimieren.
Das Team Arzt und Innenarchitekt kann eine abgestimmte Konzeption der medizinischen und der gestalterischen Belange entwickeln, die das Wohlbefinden der Patienten in den Mittelpunkt stellt und das Verhältnis Arzt – Patient im Hinblick auf eine langfristige, identifikationsreiche Bindung unterstützt. Voraussetzung dafür ist, dass bei der Gestaltung einer Praxis die Patientenstruktur unter Einbeziehung physischer, psychischer und sozialer Gegebenheiten im Arzt-Patienten-Verhältnis berücksichtigt wird.
IDENTITÄT DER ARZTPRAXIS
Praxisidentität gründet im so genannten CI-Gedanken (Corporate Identity). Nur durch eine positive Selbstdarstellung ist eine breite Akzeptanz der Praxis möglich. Ein homogenes Erscheinungsbild der Praxis als medizinisches Dienstleistungsmanagement muss dabei sowohl nach außen als auch nach innen erzielt werden. Es betrifft:
das Selbstverständnis,
die Leistungsfähigkeit,
die Arbeitsweise und
die Zielsetzung der Praxis.
Der CI-Gedanke wirkt sich positiv aus:
innerhalb des Praxisunternehmens auf die Mitarbeiter hinsichtlich Motivation und Leistungsbereitschaft sowie auf das persönliche Wohlbefinden und die Identifikation mit dem Arbeitsplatz;
nach außen auf die Annahme der Praxis durch die Patienten und auf die Kooperation von gegebenenfalls zuweisenden Arztkollegen.
Die Innenarchitektur sollte Teil der CI und des Images der Praxis und des Arztes werden.
In der Gestaltung seiner Praxis kann der Arzt sein Selbstverständnis und seine Vorstellung von Atmosphäre entwickeln und diese mit Hilfe des Innenarchitekten darstellen. Die angestrebte Unterscheidbarkeit beginnt beim Arztschild, geht über das Briefpapier, die Einführung eines Logos, führt über die Grundriss- und Raumgestaltung und betrifft auch die Praxisausstattung mit all ihren Details.
DIE ATMOSPHÄRE DER ARZTPRAXIS
Der Patient soll sich im Ambiente der Praxis ernst genommen fühlen; er sollte die Hochachtung und die Wertschätzung seiner Person durch die sensitive Gestaltung spüren. Eine positive Grundstimmung wird auch durch eine stimmige Atmosphäre und einfühlsame Gestaltung erzeugt. Diese ganzheitliche Atmosphäre umfasst:
den Arztbereich:
Die Gestaltung sollte mit der Persönlichkeit des Arztes, seinen Ambitionen und Zielen im Einklang stehen, seine Motivation fördern und die Freude an seinem Beruf unterstützen.
den Patientenbereich:
Die Gestaltung trägt wesentlich zum physischen, psychischen und sozialen Wohlbefinden der Patienten bei, fördert die Selbstreflexion und das Selbstverständnis.
das Praxispersonal:
Die Gestaltung fördert die Motivation und die Identifikation mit der Umgebung, dem Arbeitsplatz und dem Verantwortungsbereich.
Die Atmosphäre in einer Arztpraxis berührt darüber hinaus auch übergreifende, für alle Beteiligten wichtige Komponenten wie Ruhe und Konzentration, Kontrolle, Distanz, flexible Pufferzonen (zum Abfedern plötzlichen Besucherandrangs) und Integration.
Die effiziente Abstimmung zwischen der Raumgestaltung des Planers, der Zeitplanung des Arztes und der Wirtschaftlichkeit der Praxisführung muss Vorschriften wie zum Beispiel Hygieneregeln, Handlungsabläufe und organisatorische Sachzwänge im angestrebten Praxisprofil berücksichtigen. Die Räume sollten analog einer exakten Analyse der Funktionsabläufe und deren Optimierung entwickelt werden.
EINGANGSBEREICH UND EMPFANG
Schon der Eingang zu einer Praxis sollte einladend wirken und den Patienten willkommen heißen. Allgemein weckt eine differenzierte Lichtsituation, die unterstützt durch Glas zwar Einblick gewährt, jedoch die Intimität und Vertraulichkeit wahrt, Interesse und Neugierde. Der Empfang ist in der Regel der Mittelpunkt der gesamten Praxis. Neben der „Annahme“ und Verteilung der Patienten in die Warte- und Funktionsbereiche werden die Arbeitsplätze des Empfangs zum zentralen Ort der Kommunikation. Deshalb ist die ideale Form der Empfangstheke dem Gast zugewandt und „fängt ihn auf“. Ausreichend Tagesbelichtung und Bezug nach draußen sind wesentlich.
Eine zentrale Empfangstheke ist wichtigster Bestandteil der gesteuerten Netzplanung, die Arbeitsabläufe koordiniert, die Wege kurz hält und essenzielle Kontrollfunktionen ausübt. Die Einblicknahme in sämtliche peripher angeordneten Räume ermöglicht den Überblick über Patientenverhalten, Sprechzimmerbelegung und medizinische Therapieräume. Die Arbeitsplätze innerhalb der Empfangstheke üben auch Verwaltungs- und Bürotätigkeit aus und beherbergen technisches Equipment (zum Beispiel Computer, Telefon, Aktenschränke). Ideal sind ringförmig um diese zentrale Theke angelegte Räumlichkeiten entsprechend den Handlungsabläufen in der Praxis, wie beispielsweise Sprechzimmer, EKG-Raum, Labor, Therapieraum, Patienten-WC, Personalaufenthaltsraum, Lager.
WARTEZONE
Der Wartebereich einer Praxis sollte durch Glas- und Lichtkulissen separiert von den übrigen medizinisch-funktionalen Räumen angeordnet sein und einen Intimraum darstellen – ein temporärer Rückzugsraum für die Patienten. Flexibel im Erscheinungsbild, variantenreich in der Schaffung immer neuer Raumatmosphären, wird der Wartebereich so zum abwechslungsreichen Aufenthaltsraum. Der Raum sollte dabei unterschiedliche Wahrnehmungsphänomene ermöglichen. Visuell kann das Auge durch ein sinnvoll komponiertes Zusammenspiel von differenzierten Lichtinseln und Effekten mit Farbimpulsen und unterschiedlichen Materialien angeregt werden.
Akustisch wird die differenzierte Wahrnehmung des Raumes angeregt durch den ausgewogenen Gleichklang zwischen Schallabsorption und Reflexion. Wasserspiele können eine natürliche Geräuschkulisse vermitteln. Musikalische Untermalung steigert das wohltemperierte Wahrnehmen einer angenehmen Raumatmosphäre. Geruch entspricht den ursprünglichen Erfahrungsbereich der Menschen durch Pflanzen und natürliche Materialien. Haptische Erfahrungen durch die Haut lassen sich durch die angenehme Formung von Holzsitzbänken, durch Lederauflagen und Griffbereiche unterstützen. Farben im Wartebereich ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und sind interpretationsfähig, phantasieanregend.
Ein solches Raumklima, das die Wahrnehmungsorgane positiv fordert und fördert, schafft Vertrauen und weckt die Neugierde. Die Wartezeit wird nicht mehr unangenehm empfunden, sondern als Zeitintervall der Vorbereitung, des Dialoges, des Wahrnehmens und der Selbstwahrnehmung. Im Dialog mit dem Raum wird die Empfindung der eigenen Körperlichkeit im Bezug zum umgebenden Raum als positiv erlebt.
Die offene und fließende Anordnung des Wartebereiches zur Praxis stellt den Patienten in den Mittelpunkt. Der Patient fühlt sich ernst genommen. Die dezentrale Position des Wartebereiches hat zahlreiche psychologische Gründe. Dem Patienten wird die Erfahrung von Geduld erleichtert. Er wird in einer kleineren Gruppe individualisiert und findet sich in Gesellschaft wieder, der er sich nähern oder zu der er Abstand wahren kann.
Verkehrswege und Raumempfinden sollten sehr großzügig verknüpft werden, so dass kein Gefühl der Enge oder Desorientierung aufkommen kann. Werden die Räume fließend miteinander verbunden, lassen sie den Patienten die Entscheidung über Bewegung von öffentlichen Wartebereichen hin zu halböffentlichen Zonen der Therapie bis zu intimen Räumen der Sprechzimmer.
RAUMSTIMMUNG UND GESTALTUNGSTHERAPIE
Die Farben und Materialien sind überlegt und sensibel abzustimmen. Dabei sollten wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse ebenso wie verhaltensrelevantes und soziopsychologisches Wissen berücksichtigt werden. Empfehlenswert ist die Verwendung natürlicher Materialien, die ökologisch unbedenklich sind: Glas, Holz, Kupfer, Gips. Hierzu einige Beispiele:
Glas in Verbindung mit Licht suggeriert Transparenz und Offenheit; beleuchtete satinierte Glasscheiben verhindern gleichzeitig zu große Einsichtnahme und gewährleisten ein Maximum von Vertrautheit und Intimität. Helligkeit schafft eine freundliche und positive Grundstimmung. Die differenzierte Helligkeitsverteilung gibt dem betrachtenden Auge das Gefühl der Abwechslung und der Veränderung.
Farben wirken vitalisierend und positiv stimulierend. Blau und gelb sind beruhigend und belebend im Wechsel; grün symbolisiert Natur und Pflanzenwelt als integrativen Raumbestandteil.
Holz ist ein vertrauter Werkstoff, der Bezug zur Tradition schafft. Holz kann auch sehr modern wirken und in Kombination mit anderen Materialien wirkungsvoll eingesetzt werden.
Bei der Auswahl sämtlicher Materialien sind Grundsätze der Pflege und Hygiene, bauliche Einflussgrößen und das Erscheinungsbild zu berücksichtigen. Die Hygiene spielt in der Praxis dabei eine übergeordnete Rolle. Mineralwerkstoffe wie Corian, LG HI-Macs haben sich für den EInsatz in Arztpraxen als sehr geeignet erwiesen.
Die Helligkeit des Bodenbelages unterstützt eine freundliche und helle Grundstimmung in den Räumen. Wände sollten in der Regel weiß geputzt oder mit abwaschbaren Tapeten versehen sein.
Decken simulieren grundsätzlich Weite, Leichtigkeit und Reinheit; durch den Einsatz von Gips und weiß lackiert wirken sie anregend und abwechslungsreich in der Form. Plastizität der Decken vermeidet Monotonie und Rationalität. Abgehängte Decken, die im Gleichklang mit den verschiedenen Beleuchtungssituationen stehen, bilden einen wesentlichen Teil der Rauminszenierung und des Lichtkonzeptes.
Die akustische Wirkung sollte in allen Räumen berücksichtigt werden. Große Anteile an akustisch relevanten Deckenbereichen formen in der Regel durch hohe Schallabsorption ein angenehmes Raumklima. Der Gleichklang und die Ausgewogenheit zwischen Schallabsorption und Reflexion sollte nicht dem Zufall überlassen weren. Helligkeit ist unangenehm und zu vermeiden. In hochfrequentierten Räumen wird der Schalldämmwert an der Decke durch gelochte Gipsplatten erhöht. Die Sprechzimmer sind akustisch hermetisch abzuschotten von den übrigen Räumen.
Die Möbel sollten funktional optimiert, ästhetisch interessant und traditionell erfrischend sein. Glasteile als Raumteiler und Paravents gewährleisten einen Blick hinter die Kulissen und gewähren zugleich Schutz.
LICHT BEDEUTET VITALITÄT UND LEBEN
Licht ist ein zentrales Thema in der Planung einer Praxis. Einerseits ist Licht entscheidend bei der Schaffung von Atmosphäre, andererseits sind die Lichtverhältnisse Voraussetzung für die richtige Diagnose und Untersuchung.
Die Bandbreite der zum Einsatz kommenden Lichtsituationen und Leuchten ist groß. So kann der Patient bereits vor dem eigentlichen Eingang durch Positionsleuchten, die Orientierungslicht darstellen, empfangen werden. Im Inneren ist eine abwechslungsreiche Beleuchtungssituation durch Halogenleuchten im Wechsel mit Kompaktleuchtstofflampen als Informationslicht und Grundhelligkeit angemessen.
Die zentrale Empfangstheke sollte hell erleuchtet sein und mit Arbeitslicht in Arbeitshöhe und kontemplativem Licht im Deckenbereich angereichert sein. Im Wechsel entsteht der besondere Reiz. Generell gilt: Monotonie und „langweiliges“ Licht vermeiden.
Reihen von Halogenleuchten in der Decke können dem Patienten den Weg in den Wartebereich weisen. Der Wartebereich selbst sollte mit einer Vielzahl unterschiedlicher Leuchten und Lichtsituationen (Erlebnislicht) ausgestattet sein. Decken-Halogenleuchten vermitteln Orientierung und Position. Indirektes Licht an der Decke erhöht den Erlebniswert. Es ist ein transzendentes Licht; ein Licht, das zum Nachdenken anregt. Positive Lichtstimmung wird durch eingefärbte Leuchten an den Wänden im Blickbereich (atmosphärisches Licht) unterstützt. Wichtige Zugänge, zum Beispiel zu den Sprechzimmern, können mit Positionsleuchten im Deckenbereich hervorgehoben werden.
Die Sprechzimmer sollten mit weichem und sanftem Licht ausgestattet sein, das ein Betrachten der Decke in liegender Position als angenehm erscheinen lässt, ohne zu blenden (Untersuchungslicht). Zusätzliches Arbeitslicht auf dem Schreibtisch oder als Stehleuchte lenkt vom medizinischen Charakter der Praxisräume ab und vermit-
telt vertraute Wohnlichkeit und Intimität.
Die Therapieräume sollten sämtlich mit sanftem und weichem, aber auch mit gleichmäßigem und sehr hellem Licht versorgt werden. Laborräume müssen in der Regel zusätzliches Arbeitslicht über den Arbeitstischen erhalten.
Rudolf Schricker
Zum Autor: Dipl.-Ing. Rudolf Schricker ist ordentlicher Professor an der Hochschule Wismar für Entwerfen, Innenarchitektur und Vizepräsident des Deutschen Bundes für Innenarchitekten BDIA, Bonn.
E-Mail: Professor.Schricker@t-online.de